StartseiteArtikelFrische weiße Zwiebeln mit Lauch gegen Kalbsfilet

Ich behaupte, dass die Restaurant-Küche aller Kategorien Angst vor Gemüse hat. Das einzige Gemüse, das sich in der fleischlastigen Umgebung der Gastronomie eigenständig behauptet, ist der Spargel. Jedes andere Gemüse muss sich als Beilage zum Fleisch bescheiden. Mich ärgert besonders, dass die Restaurant-Köche bei den Gemüsebeilagen zu einem „Vielerlei“ neigen. Zwei kleine Baby-Möhren, ein Brokkoliröschen und ein winziges Häufchen Pastinakenpüree. Wenn sich der Gast für das Carré vom Weidelamm entscheidet, möchte man ihn nicht mit dem falschen Gemüse vergraulen. Welches Gemüse mag denn ein Weidelamm-Liebhaber? Mit ein paar verschiedenen interessanten Gemüsehäppchen fühlt sich der Koch auf der sicheren Seite.

Verblüffend ist auch die folgende Beobachtung. Bei Tagungen und Meetings, die in einem Hotel oder einem Gästehaus mit Beköstigung (kann man das so sagen?) stattfinden, wird auch oft ein vegetarisches Essen angeboten. Unter den gebildeten internationalen Gästen sind erwartungsgemäß viele Vegetarier. Auch hier neigen die Küchenchefs zur gemischten Gemüsepfanne, zum Gemüserisotto, oder zum gemischten Gemüseauflauf. Also wieder „Vielerlei“. Also wieder die Angst, ein Gericht anzubieten, dass sich klar durch ein gewähltes Gemüse definiert.

Vielleicht hängt das damit zusammen, dass persönliche Reserviertheiten beim Essen, die sich der Mensch irgend wie in der Kindheit zuzieht, sehr oft im Gemüsebereich liegen. Bei dem einen ist es Spinat, bei dem anderen Tomate. Bei mir ist es Stielmus. (Muss ich mal dran arbeiten! Muss ich wirklich? Gegebenfalls werde ich berichten).

Kocht man privat in der Kleinfamilie, muss zum Fleisch eine einzige Gemüsebeilage reichen. Dadurch kommt es bei der Endbewertung eines Essens oft zu einem Zweikampf: Ein Fleisch gegen ein Gemüse. Oft siegt dabei das Gemüse. Die Startbedingungen von Fleisch und Gemüse, sind im Restaurant und Zuhause aber unterschiedlich. In der Restaurant-Küche hat man beim Fleisch verlässliche Lieferanten, die eine gleich bleibende Qualität liefern. Dadurch kann man die optimale Zubereitungsart für das einzelne Stück herausfinden und auch eine reproduzierbare Qualität für das Endergebnisses auf dem Teller garantieren. Beim Gemüse ist die langfristige Planbarkeit nicht so gegeben. Hier muss man spontaner auf den Markt reagieren, das angebotene Produkt immer wieder neu bewerten, und die Verarbeitungsweise der Produktqualität anpassen. Hier kann der Hobby-Koch besser mithalten und improvisieren.

Wir machen jetzt ein Gemüse mit einem Fleisch. Das Fleisch ist das Kalbsfilet, dass wir beim Schlachter in Frankreich gekauft haben (siehe hier) . Das Gemüse ist ein Bund frischer weißer Zwiebel mit Lauch aus dem Supermarkt. Das sind nicht die dünnen Lauchzwiebeln, die etwa 1 cm dick sind, sondern richtige Zwiebeln, mit 2 bis 3 cm Durchmesser. Weiß und mit frischem grünem Lauch. Die sind mild und süß und in Butter geschwitzt karamelisieren sie etwas. Als geschmacklichen Gegenpol Zitronensaft hinzugeben.

Das Lauch in 2 cm lange Stücke schneiden und die Zwiebel je nach Größe halbieren oder vierteln. Dann wenden wir uns aber erstmal dem Fleisch zu. Das Kalbsfilet ist etwa 6 cm dick und 24 cm lang. Bei einem Drittel der Länge von der spitzen Seite aus gesehen mache ich einen Schnitt. Aber Vorsicht! Nicht durchschneiden. Mit dem Einschneiden will ich nur ermöglichen, dass ich die Filetspitze umklappen kann, so daß sie den mittleren Teil des Filets verstärkt. Insgesamt erhalte ich dadurch ein Fleischpaket, das 16 cm lang und ungefähr gleichmäßig 6 cm dick ist. Ein Zusammenbinden des Pakets ist aber nicht erforderlich. Das Fleisch wird gesalzen, mit zerstoßenem Pfeffer bestreut und eingeölt. Ich heize den Backofen auf 150 Grad vor, inklusive einer kleinen Ofenform, die das Fleisch aufnehmen soll. Das Fleisch anbraten und in den Ofen legen. Den Pieper auf 20 Minuten stellen.

Jetzt haben wir Zeit für das Gemüse. Ich bereite es in einer Pfanne (mit Deckel) oder einem flachen Topf zu. Zuerst die Zwiebeln in reichlich Butter anschwitzen und dann das Lauch hinzu tun. Salzen, etwas Zucker und Zitronensaft. Das Zwiebellauch hat man natürlich auch abgewaschen und ist daher noch mit etwas Nässe benetzt. Ok, das ist genau die richtige Menge Feuchtigkeit, die wir brauchen. Hitze auf Minimal stellen und Deckel auflegen.

Wenn das Fleisch piept, muss man entscheiden, ob man 5 Minuten Nachschlag gibt oder ob es gut ist. Gut heißt aber nicht fertig. Man lässt das Fleisch auf jeden Fall noch 10 Minuten ruhen. In der offenen Ofentür stehen lassen, oder die Form irgendwo abstellen und mit Alufolie und einem Küchentuch abdecken.

Ich denke, man isst vorher eine Vorspeise, und nachher noch Käse oder eine Nachspeise. Dann sollte man sich auf diese Zweier-Kombination einlassen. Keine Sauce und keine Kartoffeln, kein Reis und keine Nudeln. So können sich hier zwei Produkte mit ihrer eigenen Identität präsentieren, und sich gleichzeitig harmonisch begleiten. Der Beifall ging diesmal gleichermaßen an das Fleisch und an das Gemüse. Ein Unentschieden auf hohem Niveau.


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